Altersarmut und Pflegenotstand in Deutschland: Illusion oder traurige Wahrheit?



Altersarmut und Pflegenotstand werden in Deutschland in den Medien zunehmend thematisiert und die Politiker versprechen "Schwachstellen" im Renten- und Pflegesystem auszubügeln. In der Bundesrepublik sind 2,4 Prozent der Rentner auf die staatliche Grundsicherung angewiesen. Die OECD appelliert unterdessen an die Regierung und schlägt Alarm. Die Zahlen sind erschreckend, denn obwohl sich die Aussichten auf den Arbeitsmarkt verbessert haben und die deutsche Wirtschaft brummt, verschulden sich immer mehr Menschen. Das bestätigt auch der jüngste Sozialreport 2013.

Altersarmut und Pflegenotstand werden in Deutschland in den Medien zunehmend thematisiert und die Politiker versprechen "Schwachstellen" im Renten- und Pflegesystem auszubügeln. In der Bundesrepublik sind 2,4 Prozent der Rentner auf die staatliche Grundsicherung angewiesen. Die OECD appelliert unterdessen an die Regierung und schlägt Alarm. Die Zahlen sind erschreckend, denn obwohl sich die Aussichten auf den Arbeitsmarkt verbessert haben und die deutsche Wirtschaft brummt, verschulden sich immer mehr Menschen. Die Creditreform kommt in einer Untersuchung zum Ergebnis, dass 6,58 Millionen Menschen in Deutschland in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihren Zahlungsverpflichtungen nach zu kommen. Besonders im Westen nehmen die Haushalte mehr und mehr Schulden auf. Wer den Konsum auf "pump" finanziert, hat im Alter auch weniger Geld zur Verfügung. Im Bremerhaven ist jeder fünfte Einwohner überschuldet. Das entspricht einer Schuldenquote von 19,84 Prozent. Jeder Bundesbürger hat im Durchschnitt Schulden in Höhe von 33.000 Euro. Einzig die Anzahl der betroffenen Personen hat sich zum Vorjahr um 10.000 verringert. Eine Entwicklung die langfristig ihren Tribut fordern wird.
Jüngst haben die Bundeszentrale für politische Bildung, das Wissenschaftszentrum Berlin, das DIW und das Statistische Bundesamt in einem Report die Zahlen zur Arbeitsarmut konkretisiert. Das Armutsrisiko steigt im Alter von 55- bis 64 Jahren. Junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren sind laut dem Sozialreport ebenfalls armutsgefährdet. Demnach ist jeder fünfte betroffen.

Bereits zum Beginn des Artikels kann man sagen, dass es in Deutschland zweifelsohne Altersarmut gibt. Dabei sollte man doch später das Rentenalter genießen können und in eine Lebensphase ohne Zwänge eintauchen. Bei der Pflege wiegen die Probleme nicht weniger schwer. Während es 2012 noch 2,34 Millionen Pflegebedürftige gab, sollen es 2050 bereits 4,7 Millionen sein. Relativ wird das Problem noch viel deutlicher, denn die Anzahl der Bevölkerung in Deutschland sinkt in den nächsten Jahren.

Altersarmut: Nicht nur in Deutschland ein Thema

Die hohe Arbeitslosenquote in den Ländern der Peripherie bedroht die sozialen Sicherungssysteme. Es fehlen Beitragszahler und der demografische Wandel sorgt für eine alternde Gesellschaft. In der EU leben mehr als 120 Millionen Rentner, dass entspricht eine Quote von 24 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Bezüglich der Altersarmut in Spanien, Portugal und Griechenland sagt Michael Dauderstädt von der Friedrich-Ebert-Stiftung gegenüber der Deutschen Welle:

"Wir reden über Quoten von ungefähr zwischen 20 und 27 Prozent. Anfang Dezember war ich eine Woche in dem Land anlässlich eines Informations- und Dialogprogramms mit griechischen Wirtschaftspolitikern und Vertretern von Gewerkschaften. Dort sind die Renten massiv gekürzt worden."

Aber auch in Ländern wie Großbritannien oder Dänemark ist die Altersarmut relativ hoch. In Deutschland liegt diese bei den über 65-Jährigen bei knapp 15 Prozent. Die EU schlug unlängst eine Verlängerung der Arbeitszeit vor, um den Kollaps der Sozialsysteme zu verhindern. Als Vorbild könnte Schweden dienen, denn diese koppeln das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung. Politisch gelten die Länder Skandinaviens oftmals als Vorbild.

So entwickelt sich die Altersarmut

altersarmut

Bedauerlicherweise kommen Martin Gasche und Bettina Lamla in einer Studie mit dem Namen: "Erwartete Altersarmut in Deutschland: Pessimismus und Fehleinschätzungen" zu der Erkenntnis, dass die Altersarmut in den nächsten 20 Jahren zunehmen wird. 38 Prozent der befragten Haushalte denken, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent selbst die Grundsicherung im Alter beantragen müssen. Menschen mit einer pessimistischen Haltung verfügen über ein anderes Spar- und Arbeitsmarktverhalten, wie optimistische Menschen, auch diese Erkenntnis kann man der Studie entnehmen.

Der DGB-Index kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen. 42 Prozent der Probanden der repräsentativen Umfrage gehen bereits heute davon aus, dass sie später nicht von der gesetzlichen Rente leben werden können. 40 Prozent der Befragten rechnen damit, dass die Rente gerade so zum Leben reichen wird. Lediglich 18 Prozent sind optimistisch und glauben daran, im Alter mit der Rente auszukommen. Am schlechtesten stufen die Befragten aus dem Handel- und Gastgewerbe die Lage ein. Menschen ohne Berufsabschluss sind gegenüber Hochschulabsolventen pessimistischer und glauben zu 51 Prozent nicht an einer ausreichend hohen Rente im Alter. Das liegt zum einen daran, dass die bildungsfernen Schichten weniger in die Sozialsysteme einzahlen und zum anderen an den schlechteren Jobaussichten bei Kündigung.

Was gegen Altersarmut tun?

Im Jahr 2011 lagen die durchschnittlichen Neurenten im Westen bei 820 Euro und im Osten bei 800 Euro. Die Bundesregierung verweist seit Jahren darauf, sich privat gegen Altersarmut abzusichern, sprich Vorsorge zu treffen. Trotz des Jobwunders in Deutschland und einer sich nährenden Vollbeschäftigung haben Beschäftigte, welche einen Niedriglohn erhalten nur einen geringen Rentenanspruch. Die historisch niedrigen Zinsen erlauben es den Sparern allerdings nicht, ihr Geld sinnvoll anzulegen und somit etwas fürs Alter zu sparen. Die Renditen am Rentenmarkt sind so gering, dass der Sparer wegen der Inflation sogar eine Entwertung seines Guthabens in Kauf nehmen muss. Gegenüber dem Deutschlandfunk sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider:
"Wir können es nicht zulassen, dass das Rentenniveau einfach auf 42 Prozent weiter sinkt, und uns dann staunend anschauen, wie die Altersarmut wächst. Wir brauchen die Festschreibung auf 50 Prozent, anders werden wir dieser Lawine altersarmer Menschen, die da auf uns zurollt aus dem Niedriglohnsektor, kaum aufhalten können."
Insgesamt arbeiten im Niedriglohnsektor 23 Prozent der Erwerbstätigen. Eine private Vorsorge ist für diese Menschen, trotz staatlichen Zuschüssen kaum oder nur schwer möglich.
Die Grünen fordern deshalb eine Lebensleistungsrente von 850 Euro für Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Das Wort "Lebenslang" wird mit einer Arbeitsdauer von dreißig Jahren definiert.

In den Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU und SPD konnte man sich noch nicht auf ein Grundkonzept einigen. SPD Generalsekretärin Andrea Nahles ist sich ihrer Verantwortung bewusst und betont gegenüber dem Handelsblatt, dass krampfhaft nach Lösungsvorschlägen gesucht wird, um die Rentenlücken zu schließen. Der respektvolle Umgang mit den Beitragsgeldern und Steuermitteln hat dabei oberste Priorität. Die Rentenwert-Angleichung zwischen Ost und West wird es indes nicht geben, denn die dabei entstehenden Kosten können momentan nicht solide gegenfinanziert werden. Nach Verhandlungsführerin von der Leyen hat sich das Niveau zwischen Ost und West fast angeglichen. Das Rentenniveau des Ostens liegt bei 91,5 Prozent des Westens. Jürgen Trittin möchte die Altersarmut an der Wurzel bekämpfen und einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, Mini-Jobs begrenzen und Zeit- und Leiharbeit zurückfahren.

Das DIW kommt in Bezug auf Altersarmut in einer Untersuchung von Jan Goebel und Markus M. Grabka zu einer anderen Schlussfolgerung. Die Altersarmut geht seit den 90er Jahren zurück. Das ist darauf zurückzuführen, dass heute ältere Menschen öfter in Paarhaushalten leben. Dadurch werden die Fixkosten auf zwei Personen verteilt, was den Rentnern mehr Geld fürs Leben übrig lässt. Für das DIW Berlins ist allerdings klar, dass in Zukunft die Bedeutung von Altersarmut zunehmen wird. Das liegt vor allem an den längeren Ausbildungszeiten und den Lücken im Erwerbsverlauf.

Pflegenotstand: Wer pflegt die Eltern?

Jüngst hat der Präsident der deutschen Caritas Peter Neher die Politiker davor gewarnt, das Problem der Altersarmut und der Pflege nicht weiter aufzuschieben.

"Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff muss in der kommenden Legislaturperiode zwingend umgesetzt werden. Seit vielen Jahren warten Angehörige Demenzkranker auf eine bessere Versorgung. Hier sind wir nicht mehr bereit, weiteren Stillstand hinzunehmen", so Neher.

Laut Angaben von Ergo Direkt werden gut 70 Prozent der 2,5 Millionen Pflegebedürftigen in der Bundesrepublik von den Angehörigen versorgt. Mehr dazu gibt es hier: https://ergodirekt.de/de/presse/themenunddossiers/pflege/Wenn-die-elter-fuersorge-brauchen.html. Die restlichen 30 Prozent werden von ambulanten Pflegediensten betreut. Im Interview mit der tz forderte der Pflegeexperte Gerd Peter grundlegende Reformen gegenüber der sich bildende Regierung. Er fordert unangemeldete Nachtkontrollen in Pflegeheimen, zudem sollen die Ergebnisse der Kontrollen veröffentlicht werden. Gerd Peter ist sich sicher, wir sind längst mittendrin im Pflegekollaps. Der Fachkräftemangel im Pflegebereich führt dazu, dass die Anzahl ausländischer Pflegekräfte in Deutschland weiter zunimmt. Die Anzahl erhöhte sich von 15.000 auf 21.000 Fachkräften. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste schätzt, dass in Deutschland rund 30.000 Pflegekräfte fehlen. Bis 2025 wird Deutschland rund 400.000 weitere Pflegekräfte benötigen. Da wirkt die Zahl der Arbeitslosen (2.700) die 2013 eine Qualifizierung zum Altenpfleger begonnen haben fast schon bedenklich.

Laut dem statistischen Bundesamt und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wird die Anzahl der Pflegebedürftigen bis 2050 auf 4,7 Millionen Menschen ansteigen und das bei einer sinkenden Bevölkerungsanzahl. Wenn der Staat die Berufe aus der Pflegebranche nicht besser entlohnt, weitere Zuschüsse für bedürftige Personen schafft und das Problem bei den Hörnern packt, dann wird es nach Meinung vieler Experten eine Verschärfung des Pflegenotstandes geben.

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Petra Bork / pixelio.de